Prof. Dr. Wolfgang Huber: „Das globale Bewusstsein tritt völlig in den Hintergrund.“
GP Video-Interview zu der Rolle von Religion und Kirchen in einer Gesundheitskrise
Professor Dr. Wolfgang Huber ist einer der profiliertesten Theologen Deutschlands und betätigt sich als Vordenker in ethischen Fragen. Prof. Huber war von 1994 bis 2009 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, und von 2003 bis 2009 repräsentierte er als Ratsvorsitzender die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD).
Heute widmet er sich vor allem der Wertevermittlung in Wirtschaft und Gesellschaft. Er arbeitet als Publizist und Theologie-Professor an der Berliner Humboldt-Universität, in Heidelberg und im südafrikanischen Stellenbosch und ist zudem Beiratsmitglied der GPI.
GP Video-Interview mit Prof. Dr. Huber
Welche Rolle spielen die Religionen und Kirchen in einer Gesundheitskrise?
Die Kirchen haben sehr phantasievoll, sehr den Menschen zugewandt auf die Corona-Krise reagiert. Meine These lautet: Kirchen bleiben offene Häuser, in denen Menschen zum Gebet Einkehr finden können. Wie alle anderen sind aber auch die Kirchen von der Einhaltung von Sicherheitsabständen und Einschränkungen bei größeren Zusammenkünften betroffen. Nur so können wir dafür sorgen, dass unser Gesundheitssystem weiterhin so handlungsfähig bleibt wie in den letzten Monaten.
Immer mehr Menschen demonstrieren gegen einen angeblichen Demokratieverlust, und auch Verschwörungstheorien gewinnen immer mehr Zuspruch. Wie kann diesem Vertrauensverlust in Politik und Wirtschaft entgegengewirkt werden?
Ich glaube, dass das Vertrauen in Politik, Wirtschaft und die Kirchen hoch ist – sogar höher als vor dieser Krise. Dass sich einige die Situation zu Nutze machen, um ihrer Neigung zu Verschwörungstheorien zu frönen, darf nicht den Eindruck erwecken, als sei unsere Gesellschaft polarisiert. Ich bin dafür, klar aber gelassen mit diesen Erscheinungen umzugehen: Hinzunehmen, dass auch Verschwörungstheorien von dem Recht auf Meinungsfreiheit geschützt sind und gleichzeitig inhaltlich überzeugend zu argumentieren, warum es Quatsch ist.
Angesichts des Virus befinden sich immer mehr Menschen in den unterschiedlichsten Teilen der Welt in einer ähnlich verletzlichen Lage. Was lehrt uns diese Verletzlichkeit über die Bedeutung von Humanität, auch in Bezug auf künftige Krisen?
Einerseits erleben wir nun die Unausweichlichkeit von Globalität. Auch früher schon haben Viren sich nicht an Grenzen gehalten: Wir wiederholen jetzt nicht nur die Erfahrungen der Pest, sondern auch der großen Infektionsereignisse des 19. Jahrhunderts, nach denen internationale Richtlinien für den Umgang mit solchen Krisen festgelegt wurden. Deswegen ist es höchst beunruhigend, dass in der Corona-Pandemie plötzlich nur noch national gedacht wird. Schon das europäische Bewusstsein tritt ganz in den Hintergrund, von einem globalen ganz zu schweigen.
Täglich erreichen mich Nachrichten aus afrikanischen Ländern, in denen die Ärmsten der Armen ihrer Existenz bedroht sind und die Versorgungssysteme komplett zusammen brechen. Wir dürfen „Systemrelevanz“ nicht so nationalstaatlich denken, wie es gegenwärtig der Fall ist, sondern auf der Grundlage einer globalen Entwicklung und eines universalen Ethos.
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Ansprechperson:
Silvia Mayr, Project Management
s.mayr@globalperspectives.org
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