Global Perspectives | Bericht | 22. November 2021

Ingrid Hoven: “Klimaschutz ist kein Gegensatz zu wirtschaftlicher Entwicklung.”

GP Interview über den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Klimaschutz

Ingrid-Gabriela Hoven ist Wirtschaftswissenschaftlerin, Expertin für Versicherungslösungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und seit 2020 Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Sie ist außerdem Mitglied der wissenschaftlichen Beiräte der Stiftung Entwicklung & Frieden (SEF) und des Insurance Development Forum.

 


In unserem Interview sprechen wir über den Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Beschäftigung und was all das mit Good Governance zu tun hat.

 


 

Lesen Sie das Transkript des Interviews hier:

GPI: Frau Hoven, erst einmal danke ich Ihnen, dass Sie sich Zeit genommen haben. Es ist ja gerade sehr viel los. Im Nachgang der COP26 und im Zuge der Koalitionsverhandlungen sprechen hierzulande alle über das Klima und den Klimawandel. Bei aller Dringlichkeit der Bekämpfung des Klimawandels: Wie kann sichergestellt werden, dass dabei bisherige wirtschaftliche Entwicklungsprojekte nicht vernachlässigt werden?

Ingrid-Gabriela Hoven: Klimaschutz ist nicht der Gegensatz zur wirtschaftlichen Entwicklung, sondern es muss gemeinsam angegangen werden. Dafür gibt es ja sehr, sehr gute Ansätze. Gerade jetzt in der post-Corona-Zeit werden sehr viele wirtschaftliche Konjunkturprogramme aufgelegt, um die Volkswirtschaften wieder auf die Füße zu stellen. Wenn wir jetzt dieses öffentliche Geld so nutzen, dass wir nicht nur wieder Beschäftigung, sondern gleichzeitig auch klimafreundliche und sozial nachhaltige Projekte schaffen, dann haben wir eine doppelte Dividende. Einerseits zahlt die in den langfristigen Klimaschutz ein, aber arbeitet auch dafür, dass wir die wirtschaftliche Wiederbelebung hinbekommen. Dass das möglich ist, zeigen Studien, zum Beispiel eine der Universität Oxford. Die hat im Kontext der letzten Finanzkrise 700 Konjunkturmaßnahmen untersucht und gezeigt, dass gerade grüne Projekte sehr signifikante Beschäftigungseffekte hatten, hohe wirtschaftliche Erträge erwirtschaftet haben und zusätzlich für die öffentliche Hand langfristige Kosteneinsparungen mitbrachten. Gerade jetzt, wenn die Energiepreise explodieren, ist der Abbau von Abhängigkeiten in diesen Bereichen durchaus ein cleverer Weg. Eine wesentlich aktuellere Studie zur Mobilitätswende hat vor kurzem gezeigt, dass bei Investitionen der Öffentlichen Hand in sauberen Transport – Elektromobilität verbunden mit öffentlichen Nahverkehr – ein investierter Dollar 18 bis fast 30 Arbeitsplätze schaffen kann. Wenn dahingegen in traditionellen Straßenbau investiert wird, liegt dieser Betrag wesentlich niedriger, nämlich gerade mal bei acht Arbeitsplätzen für einen US-Dollar. Diese Zahlen sehen die Entwicklungsländer heute auch. Sie wissen, dass die Grüne Wiederbelebung auch beschäftigungspolitisch sinnvoll ist. In der Entwicklungspolitik kommt es jetzt darauf an, Länder weiter zu ertüchtigen und zu unterstützen, die sich auf genau diesen Weg begeben.

GPI: Der sudanesisch-britische Unternehmer Dr. Mo Ibrahim hat in unserem Podcast betont, dass Afrika vor allem Jobs und Investitionen benötige. Ist dann die Zukunft Afrikas eine der grünen Wirtschaft, der grünen Investitionen?

Ingrid-Gabriela Hoven: Auch viele afrikanischen Entscheidungsträger sehen das längst, gehen diesen Weg und versuchen, dieses Green Recovery-Modell auch umzusetzen. Sie fragen: Was sind die langfristigen Maßnahmen, die wir im Bereich Umweltschutz brauchen? Kann das Waldschutz oder der Schutz der Biodiversität sein? Was brauchen wir, um die Klimaschutzziele im Bereich Mobilität und Energie zu erreichen? Und gleichzeitig: Wie können wir damit ich auch noch Jobs schaffen? Denn Afrika ist ein sehr junger Kontinent und hat gerade während der Corona-Pandemie natürlich sehr gelitten. Was können wir machen, das auf die Lebensverhältnisse vor allem armer und vulnerabler Menschen einzahlt? Solche Modelle gibt es längst. Was dadurch auch für Entscheidungsträger spannend ist, ist diese grüne Transformation mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit zu verbinden. Die Menschen, die derzeit noch zurückgelassen werden, mit hineinzunehmen in die Wirtschaft, in die Arbeitsverhältnisse, in das städtische Leben. Damit wird natürlich auch die Akzeptanz einer solchen Programmatik, eines solchen Transformationsprozesses gestärkt. Das ist notwendig und unumgänglich, damit es tatsächlich auch gelingt. 60 km nördlich der Hauptstadt von Benin gibt es einen Ausbildungs-Bauernhof, der sich vor allem an Frauen richtet. Durch den Aufbau von Sonnenkollektoren ist es nicht nur gelungen, eine Wasserpumpe in Betrieb zu nehmen, was die Arbeitszeit von Frauen ganz erheblich erleichtert, sondern es gibt jetzt am Abend auch Strom und Licht. Das wird genutzt, um die Trainingsmaßnahmen von Frauen zu verstärken. Letztendlich ist die bessere Qualifikation von Kleinbäuerinnen wie auch die nachhaltige Stromversorgung im ländlichen Raum eben ganz zentral für das Überleben dieser Haushalte, der Frauen, ihrer Kinder und letztendlich auch für die ländlichen Räume und die Landwirtschaft in Benin. Wenn man also, ganz praktisch, schaut, was eine grüne Investition macht, sieht man, dass sich daraus viele positive Spillovers ergeben.

GPI: Wir haben jetzt viel über das Klima geredet. In der Entwicklungszusammenarbeit ist ja gute Regierungsführung auch ein zentraler Punkt. Kann man sich vorstellen, dass das heißt „Klima first, Good Governance second“? Ist das die Zukunft der EZ?

Ingrid-Gabriela Hoven: Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Die Entwicklungsländer, die sich jetzt auf den Weg gemacht haben, anspruchsvollen, ambitionierten Klimaschutz umzusetzen – das erfordert natürlich auch ein gewisses Maß an guter Regierungsführung, an Transparenz. Man muss ja auch offenlegen: Wohin gehen die Gelder? Wer wird begünstigt von der Bevölkerung? Man kann die anspruchsvollen Transformationsprozesse nicht auf Dauer gegen andere Stakeholder durchsetzen. Man muss die Privatwirtschaft mit an Bord holen, die dezentralen Regierungen, die Kommunen, die momentan sehr aktiv global im Klimaschutz unterwegs sind. Und natürlich die Menschen, vor allem auch die armen Menschen. Die Entwicklungsorientierung einer Regierung, die Transparenz im öffentlichen Handeln, sicherzustellen, dass die Finanzströme tatsächlich dort ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden, sprich bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse von armen Menschen: All das zahlt ja ein auf gute Regierungsführung. Wir stellen fest, dass wenn eine Regierung nicht gut aufgestellt ist, es auch sehr schwierig ist, ambitionierte Partnerschaftsprogramme mittelfristig erfolgreich durchzuführen. Bei dem, was wir hier angehen wollen, brauchen wir langen Atem. Das ist kein Sprint, das wird ein Marathon. Und dafür brauchen wir eine sehr gute und belastbare Zusammenarbeit, Vertrauen zueinander, Partnerschaften, die es auch ermöglichen, voneinander zu lernen. Auch wir in Deutschland können von Transformationsprozessen, die einzelne Entwicklungsländer durchgeführt haben, lernen. Das erfordert auf jeden Fall Regierungen, die gewillt sind, diese Partnerschaft entsprechend zu pflegen und weiterzuentwickeln.

GPI: Dann wünsche ich in diesem Sinne einen langen Atem und danke ganz herzlich für Ihre Zeit.

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