Global Perspectives | Bericht | 3. November 2020

Dr. Mark Speich: “Die Corona-Pandemie beeinflusst die globalen Migrationsbewegungen und die Fachkräftezuwanderung fundamental.”

Dr. Mark Speich ist Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales im Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen und Bevollmächtigter des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund.
Dr. Speich ist seit 1991 Mitglied der CDU, war 1995 Referent für politische Beratung des CDU-Generalsekretärs und leitete von 2006 bis 2008 die Planungsgruppe der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Video-Interview mit Dr. Mark Speich

Mit welchen Auswirkungen von Covid-19 auf Migrationsbewegungen rechnen Sie?

“Also wir sehen natürlich, dass die Corona-Pandemie insgesamt alles Grenzüberschreitende beeinflusst, beeinträchtigt und einschränkt. Das gilt auch für die globalen Migrationsbewegungen. Wir haben Abschottungstendenzen in nahezu allen Ländern gesehen zu Beginn der Krise, behutsame Öffnungen und nun sind wir wieder in einem Modus der Abschottung und alles das – das sehen wir auch an den Zahlen – hat natürlich Folgen für die Migrationsströme. Das betrifft die Länder des globalen Südens, aber das betrifft eben gerade auch die EU. Wir sehen das an den drastisch gesunkenen Zahlen.

Ich selbst war im August auf Lesbos mit dem Ministerpräsidenten. Da haben wir die enorm schwierigen herausfordernden Zustände des Lagers Moria in Augenschein nehmen können, haben aber natürlich dort auch im Gespräch mit den Verantwortlichen vor Ort wahrgenommen, dass der Druck etwas nachgelassen hat, weil eben die Corona-Bedingungen diese Reise und Migrationsbewegung momentan einfach hemmen. Ich gehe auch davon aus, dass das weitere Folgen hat und dass sich dann natürlich auch wirtschaftliche Folgen ergeben, die wiederum Auswirkungen auch auf Migration haben. Das ist natürlich die mittel- bis langfristige Wirkung, die man immer berücksichtigen muss.

Wir sehen jetzt schon, dass einige Länder ökonomisch besonders hart betroffen sind und dass da mit Verzögerung wiederum Migration ausgelöst wird, kann jedenfalls eine der Konsequenzen sein.

Gleichzeitig sehen wir, dass die Länder im Süden Europas, die in besonderer Weise betroffen sind, auch hart und im Schnitt eben härter als andere Länder betroffen sind durch die Folgen der Covid-19-Krise und damit auch vor ganz anderen und zusätzlichen Herausforderungen stehen. All das verschärft eigentlich die Problemlage. Auch wenn wir momentan den Eindruck haben, dass die Zahlen deutlich geringer geworden sind.”

 

Was bedeutet dies für die europäische Migrationspolitik?

“Ich glaube, dass die deutsche Ratspräsidentschaft vor allen Dingen zwei Herausforderungen bestanden hat: Das erste war ganz klar die Frage der mittelfristigen Finanzplanung und damit verbunden – letztlich natürlich viel entscheidender – noch die Frage der Solidarität innerhalb des EU-Kontextes. Das ist mit diesem großen „Next Generation EU“-Paket, dem Aufbaufonds, wirklich auf dem richtigen Weg. Das muss ja noch im Parlament abgeschlossen werden. Also die erste große Herausforderung ist, jedenfalls seitens der Ratspräsidentschaft, gemeistert.

Die zweite große Herausforderung ist das Asyl- und Migrationspaket und hier gibt es ja einen Vorschlag der Kommission von September, der, wie ich finde, im Prinzip genau den richtigen Weg verfolgt – nämlich deutlich macht, es muss eine solidarische Anstrengung aller europäischen Länder sein, aber diese Solidarität kann flexibel gestaltet werden. Denn, das ist aus meiner Sicht jedenfalls völlig klar, wir können die Länder im Süden Europas, die im Wesentlichen betroffen sind – Griechenland, Italien, zum Teil Spanien – mit der Aufgabe nicht alleine lassen. Das ist eine europäische Aufgabe und keine nationale Aufgabe.

Wenn man das aber ernst nimmt, dann heißt das auch, dass ganz Europa solidarisch sein muss und es kein Opt-out geben darf. Es kann, wie gesagt, eine Flexibilisierung geben. Es braucht kein starres Quotensystem, sondern das muss man auch anders kompensieren können. Aber genau in die Richtung geht ja der Kommissionsvorschlag und das halte ich für richtig.”

 

Wie hat die Pandemie die Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes bisher beeinflusst?

“Das ist natürlich ein denkbar schlechtes, aber auch nicht beeinflussbares Timing gewesen, muss man sagen. Die Eröffnung der Zentralstelle ist ja nun wirklich gerade Anfang März erfolgt, als die ersten Covid-Meldungen doch auch politischen Widerhall gefunden haben und die Pandemie sozusagen auch in den Zahlen fassbar wurde.

Und das hat natürlich auch die Fachkräftezuwanderung ganz fundamental beeinträchtigt. Das ist unglücklich, weil man natürlich hier doch einige Hoffnungen hatte, dass man ein Instrumentarium – einen Weg – gefunden hat, diese Fachkräfteeinwanderung zu begünstigen, sie auch in einen geordneten Prozess zu bringen.

Die Zahlen, die wir sehen, sind natürlich alles andere als beeindruckend unter den Covid-19-Bedingungen. Auf unterschiedliche Weise, muss man ja sagen, beeinflusst das die Zahlen: Auf der einen Seite natürlich die Entscheidung derjenigen, die kommen wollen, die eine neue Perspektive außerhalb ihres Heimatlandes suchen – auch das ist unter den Bedingungen von Corona nochmal alles eingeschränkt worden.

Dann haben wir natürlich die wirtschaftlichen Folgen auch bei uns und in einigen Branchen ja auch massiv und hart. Also wenn natürlich ein Großteil der Belegschaft auf Kurzarbeit ist, sinkt auf einmal natürlich, das ist nahe liegend, der Bedarf nach Fachkräften. Wir sehen gleichzeitig, dass in speziellen Branchen der Bedarf sogar steigt – also im Bereich der Pflege, der ganzen medizinischen Versorgung. Da haben wir einen steigenden Bedarf. Das sehen wir auch in den Zahlen. Also bei den Fachkräften, die gekommen sind, ist das sicher der größte Teil.

Aber die Zahlen sind eben noch nicht groß. Wir bewegen uns im niedrigen dreistelligen Bereich. Da hatten wir natürlich andere Erwartungen, aber das ist auch nachvollziehbar, dass die in der Hinsicht noch nicht erfüllt worden sind und wir hoffen, dass dann, wenn sich die Normalisierung hoffentlich im nächsten Jahr auch durchsetzt, dass wir da dann auch die Möglichkeiten, die uns das Gesetz bietet und die uns die Zentralstelle unterstützend bietet, auch nutzen können.

Das betrifft uns auch als Bundesland. Wir hatten ja selber auch einige Pläne – also individuelle Ausbildungspartnerschaften auch mit einigen Ländern im Mittelmeerraum oder im nachgelagerten Mittelmeerraum zu schließen. Auch das ist im Moment eben ins Stocken geraten. Man muss ja in solchen Pilotprojekten auch mal zeigen, dass es geht und dass es um sinnvolle und für beide Seiten nützliche Anwendungen geht. Wir haben deutlich gemacht, uns geht es nicht um einen einseitigen Brain-Drain, sondern es soll immer ein Angebot sein, das jedenfalls perspektivisch beiden Seiten auch nützt – oder allen drei Seiten, muss man ja sagen: Natürlich auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch den Ländern, in die diese gehen und die Länder, aus denen sie kommen, wenn sie eines Tages zurückgehen mit dem Know-How, das sie erworben haben.”

More on This Topic: