Prof. Dr. llona Kickbusch: „Solidarität ist heute die beste Form des Eigennutzes“
GP Interview über den gerechten Zugang zu einem potenziellen Corona Impfstoff und den momentanen Herausforderungen in Global Health
Prof. Dr. Ilona Kickbusch ist eine der führenden und weltweit anerkanntesten Expertinnen in der globalen Gesundheitspolitik sowie Initiatorin der Ottawa Charta für Gesundheitsförderung und weltweiter Setting Programme. Ilona Kickbusch hat während ihrer langjährigen Tätigkeit bei der Weltgesundheitsorganisation die europäische und internationale Gesundheitspolitik stark geprägt.
Sie leitet das Global Health Programme am Graduate Institute for International and Development Studies in Genf und ist als selbstständige Beraterin für öffentliche Gesundheit tätig.
GP Video-Interview mit Prof. Dr. Ilona Kickbusch
Sobald ein Impfstoff gegen COVID-19 entwickelt ist, so müsse dieser ein „öffentliches globales Gut“ sein, forderte UN-Generalsekretär Antonio Guterres.
Internationale Forschungsinitiativen wie CEPI, die Forscher*innen und Regierungen zusammenbringt, um einen Impfstoff gemeinsam zu entwickeln, spielen eine entscheidende für die Koordinierung der weltweit über 300 Ansätze für einen Corona-Impfstoff. Auch gibt es schon jetzt Überlegungen zur gerechten Verteilung: Die internationale Initiative COVAX beispielsweise soll sicherstellen, dass auch Entwicklungsländer zu fairen Preisen Zugang zu einem Impfstoff haben.
„Historisch einmalig ist, dass das Patentrecht, so wie es eingerichtet worden ist – eigentlich eher als Gegensatz zwischen entwickelten und Entwicklungsländern – plötzlich auch für die Länder des globalen Nordens gilt“, erläutert Prof. Dr. Ilona Kickbusch.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kündigte kurz vor Deutschlands Antritt der EU-Ratspräsidentschaft an, man wolle Europa für die Forschung attraktiver machen. Doch auch im internationalen Austausch zur Gesundheitsforschung hätte man in Europa einiges nachzuholen, meint Prof. Dr. Ilona Kickbusch und hebt besonders die Bewegung „Decolonize Global Health“ hervor:
„Die Forschung ist doch hauptsächlich in den Ländern des globalen Nordens verankert. Selbst wenn Forscher*innen aus Entwicklungsländern beteiligt sind, werden sie nicht genannt oder bekommen nicht so viel Anerkennung wie westliche Forscher*innen.“ Das ultimative Beispiel sei für sie, dass man sich erst vor kurzem daran erinnert habe, dass der außerordentliche kongolesische Wissenschaftler Jean-Jaques Muyembe eigentlich gemeinsam mit Peter Piot das Ebola-Virus entdeckt hatte.
Prof. Dr. Ilona Kickbusch hat schon immer davor gewarnt, Globale Gesundheit nicht als „Entwicklungsthema“ abzutun. „Die meisten Regeln, auch in der globalen Gesundheit, gehen von einer zweigeteilten Welt aus: die entwickelten Länder auf der einen und die Entwicklungsländer auf der anderen Seite.“
Wie schon in Bezug auf den Patentschutz angesprochen, können nun alle Länder – ob entwickelt oder nicht – betroffen sein, wenn ein Land die Patentrechte für einen Impfstoff nicht teilen will. Die internationalen Gesundheitsvorschriften reichen nicht aus, um dieses Dilemma zu lösen. Stimmen, die die Schaffung eines neuen internationalen Instruments fordern, gibt es bereits. „Solidarität ist heute die beste Form des Eigennutzes“, fordert Prof. Dr. Ilona Kickbusch abschließend.
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